Contraries – Gegenteilsleute

Contrary

Auf den Coyotewegen komme ich ab und an in die Gegend der Contraries. Manchmal katapultiert es mich hinein, dann wieder schleiche ich herum, beobachte, wundere mich. Ich bin froh, dass es prozentual überschaubar ist, was ich von der Contrary-Kraft habe. Die Medizin der Gegenteilsleute, der GegenspielerInnen ist eine ziemlich spezielle. Sie ist sehr alt, sie gehört dazu. Alle kennen diese Kraft mehr oder weniger. Am intensivsten erfahren wir sie bei uns zu Pubertätszeiten. Es ist die Kraft von Jugend und vom jungen Erwachsensein, da, wo die Rebellion hingehört, wo die Tradition aufgemischt wird zur Erneuerung. Bei Menschen, deren Gabe und Medizin es ist, verfeinert, vertieft sich diese Kraft, sie bleibt, um Ungleichgewichte aufzudecken, zu konfrontieren und letztlich zu erneuern und die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Dafür geben sie ihre verrückte Medizin ins Feld. Die Welt ins Gegenteil verkehren. Alles auf den Kopf stellen. Das Gegenteil von dem tun, was andere tun. Verkehrte Sprache, Umkehrhandlungen. Die verneinende Kraft, die WidersacherIn, Lady of disrule. Die Contraries sind nicht gerade FreudemacherInnen. Sie widersetzen sich, fügen sich nicht, sie kennen die Widerworte, die gar nicht lustig sind, sie kündigen die Spielregeln auf. Sie zelebrieren die Umkehr, die Rebellion, das Nonkonforme. Im besten Fall ist es die konstruktive Anarchistin. Die Contraries sind anstrengend. Manchmal sind sie komisch in ihrem Gegenteiligen, dann wieder seltsam, befremdlich. Meine Rotnase kommt wesentlich besser an als meine Contrary.

Wenn die Contrary-Kraft – die nicht meine Medizin ist! – in mir aufsteht, dann muffel ich auf den lustigen Festen rum, dann bringe ich das Schweigen ins redselige Feld, den Lachanfall bei Trauerfeiern oder die Antistimmung im perfekt abgestimmten Beisammensein. Wenn es erhaben ist, passiert mir was Lächerliches. Wenn es intellektuell durchtränkt ist, entfallen mir auf einmal Begriffe, ich bekomme Zusammenhänge nicht mehr klar hin und meine Beiträge sinken in tiefstes mentales Analphabetentum. Dann wieder höre ich mich bei Stammtischdümmeleien auf einmal intellektuelles Zeug reden, das hitverdächtig ist. Das kommt alles nicht so richtig gut an. Deshalb bin ich wirklich froh, dass die Contrary nicht so oft auffährt. In den seltensten Fälle gibt es Zeugen, die schmunzeln. Der betroffene Rest ist nicht amused und findet mich weder komisch noch akzeptabel. Ich kann diese Kraft nicht gut reiten. Wenn sie kommt, geht sie durch mit mir. Danach kann ich die Sturmschäden be-gut-achten.

Contrary-Talk

Im indigenen Feld Nordamerikas sind die Contraries manchmal Heyokas. Nicht alle Heyokas sind Contraries. Es ist ein schwieriger, undankbarer Job, sie bleiben immer Fremde in ihrer Gemeinschaft und sind doch anerkannter, geachteter Teil. Immer anders als die anderen. Ich glaube, diese Kraft ist nur noch selten in wirklich heiler Form vorhanden. Die ethnologischen Berichte sind aus der Neuzeit und beschreiben meiner Meinung nach versehrte, fragmentierte Contraries. Vielleicht sind es nur mehr die Überreste einer viel komplexeren Gestalt.
Es gibt Contrary-Clowns und Contrary-ClownärztInnen. Ihre Behandlungsweise ist umgekehrt und wird sehr komisch durchgeführt. Während bei Clowns-ÄrztInnen Humor das Heilmittel ist und Lachen ihre Medizin, ergreifen die Contrary-ÄrztInnen zum Beispiel die Flucht vor ihren Patienten. Wie wäre denn das, wenn ich einen Contrary-Zahnarzt hätte. Wenn alles in Ordnung ist, würde er mir den Tod voraussagen wegen der Zähne und dann gleich die Flucht ergreifen. Das fände ich zutiefst befremdlich. Wenn unsere Contraries therapeutisch arbeiten, könnte ihnen die paradoxe Intervention gefallen.

In Nordamerika haben die Dakota, die Sioux, die Comanchen, Cheyenne, die Crow und einige andere Contraries. Sie leben verkehrt, aus Prinzip, verkehrt gekleidet, andersrum gesprochen, umgekehrt gehandelt, immer, nicht nur temporär. Sie sind so. Sie kennen die Kunst des konträren Denkens und Handelns, das perfekte Paradox. Sie sind auf ernste Weise konträr. Ihre Fraben sind schwarz-weiß, gestreift oder mit Kringeln bemalt, polka-dotted. Contrary-Heyokas kennen die Riten der Rebellion, eine rituelle Gegenstruktur, rituelle Statusumkehrungen. Das Einnehmen des Gegenpols erzählt vom Gleichgewicht, von der Balance der Energien, vom rechten Maß zur rechten Zeit. Ich glaube, in einer ältesten Weise stand die Contrarykraft der Gesamtwesenheit Trickster zur Verfügung, als Tool, genau wie die Clownskraft, die Rotnasenkraft.

Die Contraries bei uns haben es schwer. Zum einen sind sie nicht autorisiert von der Gemeinschaft, sie ecken an, sind nicht gefragt. Oftmals haben wir uns so im Ungleichgewicht eingerichtet, dass die Balancierung mehr Angst macht als in der vertrauten Imbalance zu leben. Und diejenigen, die davon profitieren, wollen es sowieso verhindern. Im Gleichgewicht der Kräfte beginnen Mangel, Angst und Bedürftigkeit zu schmelzen und darauf basierende Machtgefüge zerfallen. Ausbalancierten Menschen kann man auch nicht jeden Mist verkaufen. Vielleicht könnten die hiesigen Medizin-Contraries subversiv arbeiten, zu ihrem Schutz, als verrückte Guerillakraft.

Contrary

Zur Zeit lässt mich die Contrarykraft sehr genau hinschauen auf Eigenschaften, die ich gut finde und meine, ich hätte was davon, wie freundlich, unkompliziert, offen, interessiert, engagiert … Das ist meine Heilig-Falle. Da stupst mich die Contrary, „los,“ sagt sie, „ein bisschen mehr „Anti“, vor allem, wenn es zur Muss-Falle wird. Wahlweise, wenn es stimmt, immer mal – auf keinen Fall ungeprüft und immer.“
Mit der „unzuverlässigen Frau“ fahre ich schon länger ganz gut. Unengagiertes Desinteresse bewahrt mich vor sprachlichem Zugemülltwerden, Kompliziertheit bringt es mit sich, dass andere genauer auf meine Befindlichkeiten schauen. So blöd ist das auch nicht.